23.04.2012

Der ganz normale Wahnsinn schlägt zurück

Mein letztes Posting schloss mit Hoffnung ab. Gestern Nachmittag wurde sie in Genua begraben. Was sich im stadio Luigi Ferraris abspielte, hat wieder gezeigt, wie es um den calcio steht. Es ist der ganz normale Wahnsinn in Italien. Nicht die positive Seite, die ich so sehr liebe, sondern seine grässliche Fratze, die viel zu oft triumphiert.

Der FC Genua empfing Siena in einem wichtigen Spiel gegen den Abstieg. Die Traditionsmannschaft aus Ligurien, die bereits einen doppelten Trainerwechsel hinter sich hat, zeigte sich jedoch wieder von seiner schwächsten Seite, so dass es zur Pause 3-0 für die Gäste stand. Kurz nach der Halbzeitpause fiel das 4-0. Die ohnehin gereizte Stimmung kochte daraufhin über. Einige der heimischen Ultras schossen Feuerwerkskörper und Rauchbomben auf den Fußballplatz und versuchten das Feld zu stürmen. Der Schiedsrichter musste das Spiel unterbrechen. Kapitän Marco Rossi versuchte die Fans zu beschwichtigen, diese forderten jedoch ihre Spieler auf, die Trikots auszuziehen.

Klubchef Enrico Preziosi kam auch auf den Platz, um der Situation Herr zu werden. Jedoch konnte man von ihm nicht viel erwarten. Der durch Spielwaren reich gewordene Mäzen hatte vor vier Jahren den Verein Como Calcio in die Pleite geführt und wurde wegen betrügerischen Konkurses verurteilt. Seit 2004 darf er wegen anderer Probleme mit der Fußballjustiz keine Transferverhandlungen führen. Dennoch gab aber vor 2 Jahren zu, für die Verkäufe von Diego Milito und Thiago Motta an Inter Mailand verantwortlich gewesen zu sein, was ihm eine weitere Anzeige einbrachte. 2005 musste Genua übrigens wegen einer versuchten Spielmanipulation absteigen. Der Verantwortliche damals? Preziosi. Na dann, Prost.

Sculli gegen den Rest der Welt. - www.calciomercato.it
Kommen wir zurück zu den gestrigen Protesten. Die Spieler gaben nämlich dem Druck der Fans nach und zogen sich nach und nach die "entwürdigten" Trikots aus. Der Spieler Mesto brach in Tränen aus. Derweil waren Schiedsrichter und Gästemannschaft in die Kabinen zurückgekehrt. Dass es nicht zu einem Spielabbruch gekommen war, ist Genuastürmer Giuseppe Sculli zu verdanken. Er weigerte sich, das Trikot auszuziehen und stellte sich den Fans. Unter Tränen schaffte er es, die Ultras zur Vernunft zu bringen. Die Partie wurde nach einer 40-minütigen Unterbrechung weitergespielt, das Endergebnis lautete 1-4. Das Sportgericht entschied, dass Genua die nächsten beiden Heimspiele ohne Fans austragen muss. 

Klar, Fußball wurde auch gespielt. Ibrahimovic rettete dem AC Mailand in der 90. Minute einen Punkt im Heimspiel gegen Bologna, den Ausrutscher nutzte Titelrivale Juventus mit einem imposanten 4-0 gegen die Inkarnation des Resultatewahnsinns, meinem AS Rom. Trainer Luis Enrique überraschte in Turin mit Totti auf der Bank, einer neuen Aufstellung und weiteren disutablen Personalentscheidungen. Die Quittung: Nach 7 Minuten hatte Vidal mit einem Doppelpack das Spiel entschieden, in der 30. musste Tormann Stekelenburg wegen einer Notbremse vom Platz. Fünf Spieltage vor Ende hat Juventus mit drei Punkten auf Milan beste Chancen auf die Meisterschaft. Bizarr: Da keine Mannschaft im Rennen um Platz drei kontinuierliche Leistungen zeigt, sind auch Rom und Inter (0-0 in Florenz) noch im Rennen gegen Lazio, Udinese und Neapel.

Zum Abschluss eine weitere unschöne Geschichte des gestrigen Fußballtages gab es mal wieder bei Lazio Rom. Da die Gäste aus Lecce in den unbeliebten Farben des Stadtrivalen AS antraten, sang die gesamte Curva Nord giallorosso ebreo, "gelbroter Jude". Auf manche Dinge ist eben immer noch Verlass.

18.04.2012

Herz und Fußball blieben still

Es war die 30. Spielminute im Zweitligaspiel zwischen Pescara und Livorno am vergangenen Samstag. Der Spielstand von 0-2 kann uns egal sein. Das Herz von Piermario Morosini blieb einfach stehen. Und danach ruhte auch der Fußball. Nicht nur in Pescara, sondern in ganz Italien.

Der tragische Tod des gerade mal 25-jährigen Spielers von Livorno traf mitten ins Herz.  Es schien, als sei das Leben des ehemaligen U21-Nationalspielers genug gezeichnet. Piermario, jüngstes von drei Geschwistern, verlor bereits mit 15 seine Mutter. Zwei Jahre später folgte ihr der Vater. Dennoch kämpfte il Moro weiter. Favini, lange Jahre Jugendverantwortlicher bei Atalanta Bergamo, wo Piermario auf die Welt kam, erinnerte sich an ihn als einen Jungen, der immer eine unglaubliche Sanftheit in seinem Gesicht trug, unter einem kaum sichtbaren Schleier der Traurigkeit.

Sein Leben schien nicht jedoch noch lange nicht genug gezeichnet. 2004 nahm sich sein jüngerer Bruder, der an einer Behinderung litt, das Leben. "Jetzt erst recht" muss sich Piermario damals gesagt haben. Er wollte mit dem Fußball erfolgreich sein, weil es seine Eltern glücklich gemacht hätte. Er musste Erfolg haben, um seiner ebenfalls behinderten Schwester so gut wie möglich helfen zu können.

Vielleicht hielt sein Herz die vielen Schicksalsschläge allmählich nicht mehr aus. Vielleicht war es ein erst bei der Autopsie entdeckter Gendefekt. Vielleicht brauchten die Rettungskräfte zu lange, weshalb die Staatsanwaltschaft ermittelt. Jedes weitere "Vielleicht" bringt Piermario dennoch nicht zurück.

Es war überraschend schön, dass der italienische Fußballverband alle für das Wochenende angesetzten Spiele ausfallen ließ. Weniger überraschend war es, dass die Funktionäre sich zwei Tage später wieder darum stritten, wie und wann die Spiele nachgeholt werden würden. Vielleicht kann das gezeichnete Leben von Piermario dennoch irgendwie ein Zeichen setzen. Vielleicht.