30.06.2012

Tanz den Balotelli

Balotelli war mit seinen Toren der Matchwinner, das Zünglein an der Waage war jedoch die italienische Überlegenheit im Mittelfeld. Jogi Löw hatte zudem aufs falsche Pferd gesetzt. Zu sehr fixierte er die Aufmerksamkeit auf Pirlo, der die Spieleröffnung zum Teil einfach an Montolivo, De Rossi und Marchisio abgegeben konnte. Eine fantastische Spielanalyse bietet spielverlagerung.de. Wahrscheinlich hat auch ein Freund recht, den ich gestern abend traf. Er brachte das deutsche Dilemma auf den Punkt - Toni Kroos hört Pur.

Größer hätte der Schock nicht sein können. Mit einem Doppelschlag knockte der böse schwarze Mann sowohl die German assertiveness einfach aus. Während die italienischen Fans in Deutschland zum Großteil friedlich feiern konnten, gab es auch sehr traurige Szenen. In Wolfsburg oder Wuppertal ließen Anhänger der deutschen Mannschaft ihrem Frust freien Lauf. Von der anti-italienischen (Bild) oder gar sexistischen (FAZ) Berichterstattung im Vorfeld ganz zu schweigen. Wenn dann noch deutsch-italienische Nachrichtenmoderatoren während der Halbzeitpause lächeln, ist der Parmesan gegessen.

Italien tanzt den Balotelli
 
Balotelli freut sich nach seinem 2-0
Freude nach dem 2-0. - sportsworldreport.com
Naja. Vielleicht wurde Balotelli Held des Spiels, weil ich vor dem Spiel zwei Turbonegro-Songs gepostet hatte? Genug schwarzer Humor für heute. Balotellis Siegerpose machte schnell die Runde und sorgt für sehr amüsante Bilder.

Die Geschichte von Mario Barwuah Balotelli stimmt nachdenklich

Mario kam in Palermo als Sohn ghanaischer Einwanderer auf die Welt. Die Familie zog einige Monate später in die Region Brescias. Da sich die Barwuahs nicht die medizinische Behandlung des schwer kranken Marios leisten konnten, wurde er den Balotellis anvertraut. Erst mit 18 durfte er die italienische Staatsangehörigkeit und auch den Nachnamen seiner neuen Familie annehmen.

Seine sensible Seite zeigt Balotelli kaum in der Öffentlichkeit. In einem Interview Anfang des Jahres erklärte er, "Rassismus entstammt aus der größten Ignoranz. Man muss bei den Kindern handeln, vor allem in der Schule." Der Satz kommt nicht von ungefähr, Mario Balotelli hatte schon vor der Profikarriere mit Rassismus zu kämpfen. Arroganz macht er zu seinem Schutzmantel. Auf und neben dem Platz.

Eine weitere Anekdote zeigt, dass ein Mensch aus viel mehr Facetten besteht, als der Anschein vermuten lässt. Als die italienische Nationalmannschaft im Vorfeld der EM Auschwitz besuchte, war Mario zu Tränen gerührt. Seine Großmutter mütterlicherseits war eine deutsche Jüdin aus Schlesien. Durch die Liebe zu einem italienischen Piloten konnte sie dem Holocaust entfliehen. Die Eltern und die jüngere Schwester seiner Großmutter wurden im KZ getötet.

Deutschland - Italien, Balotelli umarmt seine Mutter
Mario umarmt seine Mutter Silvia nach dem Spiel.
- mirror.co.uk
Ich habe meine Meinung zu Balotelli in den letzten Wochen grundlegend geändert. Ohne solche Typen wie Eric Cantona und Vinnie Jones früher oder Zlatan Ibrahimovic und Mario Balotelli wäre der Fußball um einiges ärmer.

Vor dem Spiel gegen England sagte De Rossi, mit 21 Jahren sei Mario  bereits ein ometto. Ein junger Mann, der sich seiner Verantwortung zu stellen vermag. Ein geiles Männje, wie man im Saarland sagen würde.

28.06.2012

Entscheidend ist auf'm Platz

Wie viele Sportjournalisten, Kneipentheoretiker und fußballaffine Cybernauten haben dieser Tage über dieses Spiel aller Spieler philosophiert. Wie viele harmlose Sticheleien, wie viele geschmacklose Kommentare und wie viele xenophobe Schmähungen wurden in der Realität und im Internet in den letzten Stunden verbreitet. Dazwischen gibt es die verschwindend geringe Minderheit, die sich bloß wünscht, dass der bessere gewinnen möge.

Es ist mir zwar nicht vollkommen egal geworden, aber früher hatte ich ein dünneres Fell, heute belächele ich den Stumpfsinn und die Versuche, die Fußballrivalität zwischen Deutschland und Italien noch weiter aufzubauschen. Da mein Freundes- und Bekanntenkreis fast ausschließlich aus Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit besteht, gilt wohl ein Turbonegro-Song als Song des Tages.



Ich freue mich auf das, was da kommen mag. Gerade nach dem sicher taktisch interessant, aber für den neutralen Zuschauer sehr verkrampft und ermüdend wirkenden ersten Halbfinale. Den Portugiesen gelang es, die Spanier weitestgehend unter Kontrolle zu halten. Das Offensivspiel blieb äußerst blass. Die furia roja ist nach dem Elfmeterschießen zum dritten Mal hintereinander in einem großen Finale, doch die sonst so präzisen Kombinationen führten nur zu einer Großchance in der Verlängerung, bei der Iniesta am Portugiesen Rui Patricio scheiterte.

Noch eine Partie Rasenschach brauche ich nun wirklich nicht. Vielleicht muss ich kurz traurig sein. Gehört eben dazu. Vielleicht höre ich auch ein Lied über Pizza. Dann ist alles gut.


26.06.2012

Der Pirlo-technische Effekt

Ich glaube zwar nicht an Schicksal, doch seiner Ironie kann selbst ich nicht entfliehen. Nun kommt es doch zum Duell zwischen Deutschland und Italien. Die schwarz-rot-goldene Übermannschaft, die zu viele zur deutschen Atzionalparty bewegt gegen skandalumwitterte Schwalbenkönige aus dem krisengebeutelten Südeuropa? In schwarz und weiß denke ich zum Glück nicht. Deutschland ist klarer Favorit, ohne Wenn und Aber.

Das Halbfinale ist für diese italienische Mannschaft, die gezeigt hat, dass sie sehr guten Fußball spielen kann, ein großes Ergebnis. Unverbesserliche Besserwisser gibt es mehr als genug, die das italienische Team als die Inkarnation des Anti-Fußballs ansehen. Zahlen reichen als Antwort aus.
Zahlen können aber auch nicht die Dramatik, das Nervenzittern, die Poesie zusammenfassen, die ich am Sonntagabend mit meinem Vater durchlebt habe. Mit starken Kopfschmerzen, die mich schon den Samstag begleiteten, bin ich zu meinen Eltern gefahren. Das sich dazu noch metaphorische Herzrhythmusstörungen gesellen sollten, konnte ich da noch nicht erahnen.

Die Azzurri boten ein fast perfektes Spiel. Aber nur fast, es wollte ihnen einfach kein Tor gelingen. Es ging ja schon in der vierten Minute los, als Daniele De Rossi aus 27 Metern die Kugel gegen den Pfosten knallt. Dem einärmeligen Banditen brachte sein Glücksunterhemd auch später kein Glück, in der 80. Spielminute musste er wegen Problemen mit dem Ischiasnerv das Handtuch werfen.
Ohne meinen einzigen Römer habe ich an der Nationalmannschaft gerade mal halb so viel Spaß und muss mir noch mehr Sorgen machen. Der verrückte Diamanti tut es ihm in der Verlängerung gleich, mein Herz ist zu dem Zeitpunkt schon lange aus der Hose gefallen.

Als es zum Elfmeterschießen geht, denke ich nicht an das gewonnene WM-Finale 2006. Ich denke auch nicht an die traditionell schwachen Engländer. Ich hoffe nur noch, dass ich mich vor lauter Kopf- und Herzschmerzen nicht übergeben muss.

Balotelli, der es während des Spiels auch vom Mond aus versucht hatte, verwandelt gegen seinen Vereinskollegen Joe Hart. Geht doch. Nach Gerrards Treffer ist der Deutsch-Italiener Riccardo Montolivo an. Der Phlegmatiker zeigt Nerven. Es ist alles aus. Rooney gegen die Maccaroni, 2-1 England. Ich sollte nach Hause fahren. Doch da sendet der Fußballgott einen Erzengel an den Elfmeterpunkt.

Andrea Pirlo, der halb-autistische Stratege des italienischen Spiels, ist an der Reihe. Ihm bleibt keine Wahl. Er muss italienische Poesie der englischen Prosa entgegensetzen. Er wählt den cucchiaio, den Löffel. Tottis Wahnsinn bei der Euro 2000 schiesst mir ins Gedächtnis. Pirlo war nie der schnellste Spieler, seine Gedanken umso mehr. Präzise wie ein Uhrwerk und mit der Seelenruhe eines Mannes, der bereits alles erreicht hat. Pirlo-Technik gehört in jedes Stadion. Er ist der der Kopf einer Mannschaft, die in Buffon seine Arme, in De Rossi ihr Herz und in Marchisio ihre Lunge hat.

Das Dessert war damit gegessen, der englische Wille gebrochen. Young legte zu viel Wucht in den Schuss und traf die Latte, Nocerino blieb dagegen eiskalt. Cole erinnert sich daran, dass er kein Chelsea-Trikot trägt und schenkt Buffon den Ball. Der Pastafari Diamanti macht das Halbfinale perfekt.
Ich war im Glück, trotz eines hämmernden Kopfes. Mir fehlte in dem Moment keine Tablette, sondern die Musik von Ennio Morricone.

20.06.2012

Momentaufnahme

Identifikationsfiguren haben es in sich. Mein erstes und damit wichtigstes Vorbild war und ist mein Vater. Ich habe viele seiner Werte verinnerlicht und bin froh, dass sie mich durch das Leben begleiten.

Obwohl wir demnach in vielen Dingen sehr ähnlich sind, verstehen wir oft nicht, was der eine vom anderen will. In dem Moment spielt der Fußball die Rolle des gemeinsamen Nenners. Er schlägt die Brücke zwischen dem verlorenem Gestern und dem ungewissen Morgen. Mein Vater und ich treffen uns in der Mitte.

Darum bin für das entscheidende letzte Gruppenspiel Italiens gegen Irland zu meinen Eltern gefahren. Gemeinsam schweigen oder gemeinsam im Glück schwelgen. Letzteres traf zu.

Schön war die Partie gewiss nicht, die squadra azzurra war nervös und wirkte über weite Strecken lethargisch. Gegen tapfere Iren - ein großes Lob an dieser Stelle an die Fans von der Grünen Insel - mussten es zwei Eckstöße richten.

Ja, Fußball kann leider auch sehr hässlich sein. Auch vieles, was im Rahmen der aktuellen EM passiert.  Darum bleibt er für mich eine interessante Allegorie auf das Leben. Mal schmutzig, mal bitter. Und doch wieder schön.

Danke Papa.

12.06.2012

Bunga Bunga vs. Tiki-Taka. A bad ass mothaf*cka.

Die erste Spielrunde der EURO 2012 ist vorbei. Hauptsächlich seichter Pop mit wenigen mitreißenden Momenten. Das Spitzenduell zwischen Spanien und Italien präsentierte sich bisher als rockiger Höhepunkt der Europameisterschaft.
Gruppe B: Schnitzel mit Gomez

Für die erste große Überraschung sorgte Dänemark am Samstag, die sich mit 1-0 gegen die unglücklich agierenden Niederlande durchsetzten. Eine Dänsation eben. Im Abendspiel hatte Deutschland in einem sehr taktisch geprägten Duell gegen Portugal die Nase vorn. Für Cristiano Ronaldo gab es nur Schnitzel mit Gomez. Der Motor der deutschen Mannschaft ist noch nicht auf Betriebstemperatur, aber mit dem Hurra-Fußball der letzten Jahre hat man ja auch keine Titel geholt. Notfalls kann man auch bloß Hummels in die Abwehr stellen und mehr Leute ins Mittelfeld beordern.

Gruppe C: Tik-Tak-D'oh

De Rossis Antwort auf Tiki-Taka. - guardian.co.uk
Mein volles Päckchen Zigaretten musste am Sonntag zwischen 18:00 und 19:45 Uhr dran glauben. Dem orchestralen Tiki-Taka der Iberer stand das skandalumwitterte Bunga Bunga der Italiener gegenüber. Der amtierende Welt- und Europameister überraschte mit einem 4-6-0 System, das über weite Strecken so belanglos blieb wie die Werbung für 11-88-0. Italiens Trainer Claudio Cesare Prandelli, der Name zergeht auf der Zunge wie feinstes Zitroneneis, hatte aus der Not eine Tugend gemacht und auf ein flexibles 3-5-2 umgestellt, das Iniesta, Xavi und Konsorten kaum Räume ermöglichte und schnell auf Angriff umschalten konnte. Mit einem stinknormalen Stürmer an der Stelle Balotellis hätte das Spiel sogar einen noch besseren Verlauf für Italien nehmen können. Vielleicht wurde er jedoch von den Affenlauten gegnerischer Fans aus dem Konzept geworfen.
Kroatien bewies danach gegen harmlose Iren, dass es auch ein Wörtchen in der der Gruppe C mitreden kann. Vor allem dank Man-of-the-match-džukić, der im Sechs-Millionen-Mann-Kader von Felix Magath keine Rolle mehr spielen soll. Die Kroaten bieten einen guten Mix aus Technik und Physis, Trapattonis Schützlinge werden wohl nur den Sympathiepreis gewinnen.
Gruppe D: Sheva entzaubert Ibrakadabra

England gegen Frankreich. Die einen konnten es nicht besser, die anderen wollten es scheinbar nicht. Viel mehr fällt mir dazu nicht ein. Gerade von den Franzosen hatte ich mir mehr erwartet. Zumindest wissen wir nun alle, dass bei Benzema die Schusstaste auf Dauerfeuer steht und ein neuer Controller besorgt werden muss.
Zum Abschluss trafen noch die Ukraine und Schweden aufeinander. Vom eigenen Publikum angepeitscht schafften es die Gastgeber, die Partie noch umzudrehen. Andrei TSchewtschenko (Für die deutschen Reporter hier die korrekte Aussprache) beweist, dass auch Spieler von großem Format auch gegen Ende ihrer Karriere noch für Aufsehen sorgen können. Die Skandinavier haben seit Jahren das Problem, dass bloß Zlatan Ibrahimovic internationales Format besitzt.

Ich gebe mir jetzt Slaven Bilićs Mütze voll Schlaf. Gute-Nacht-Kuss an alle. Bis zum nächsten Mal.
Bilić küsst den Flitzer - catatanbola.com

09.06.2012

Stahlhelm gegen Ronaldo? Bleiben wir auf dem Teppich!

Die EM hat begonnen. Endlich. Mit Ausnahme von Argentinien und Brasilien treffen die stärksten Nationalmannschaften der Welt bei diesem Turnier aufeinander. Dass die letzten beiden Weltmeisterschaften ausschließlich europäische Finalteilnehmer präsentierte, unterstreicht den erhöhten Anspruch der Euro 2012. Ich bin sehr auf die taktischen Entwicklungen gespannt, doch auch die politische Komponente hat es in sich.

Das Eröffnungsspiel zwischen den favorisierten Polen und den Griechen war zwar alles andere als hohe Fußballkunst, mit zwei Platzverweisen, einem verschossenen Elfmeter und viel Einsatz gab es genug Brisanz zu Beginn des Turniers. Nach dem mageren 1-1 wich der Enthusiasmus der polnischen Fans einer gewissen Ernüchterung. So ideenlos wie sich die Gastgeber gerade nach der Überzahl präsentierten, darf das Team nicht mehr auftreten, wenn es überhaupt ins Viertelfinale kommen möchte. Die Polen konnten von Glück reden, einen Tytoń ins Tor rufen zu können, nachdem Arsenal-Profi Szczęsny vom Platz flog. Elfmeter sind aber auch keine griechische Spezialität wie beispielsweise Mousakas. Eine Fußnote verdient der griechische Stürmer Samaras. Seine fußballerischen Qualitäten stehen im krassen Gegensatz zu seinem Haarwuchs. Ein Phänomen.

Russland untermauerte im Abendspiel seine Titelansprüche. Getragen vom Ostwind, der das Turnier umweht, fegte die Sbornaja das tschechische Team mit 4-1 vom Platz. Mit zwei Toren bewies der 21-jährige Alan Dsagojew sein Riesentalent. Der offensive Mittelfeldspieler von ZSKA Moskau debütierte bereits vor vier Jahren in einem Testspiel gegen Deutschland im Dress der russischen Nationalmannschaft und gilt schon lange als ein zukünftiger Weltstar.

Heute ist die Gruppe B an der Reihe, die mit den Titelkandidaten Deutschland, Niederlande und Portugal gespickt ist. Dänemark ist zwar krasser Außenseiter, präsentieren mit Christian Eriksen jedoch eines der größten Talente auf europäischer Bühne. Um 18 Uhr wird er sich mit seinen Teamkollegen gegen die Niederlande beweisen müssen, die als Vizeweltmeister in das Turnier gehen. Prunkstück der Oranje ist die Offensive um Robben, Sneijder und Van Persie. Da kann auch ein Huntelaar auf der Bank gelassen werden. Für Kopfschmerzen sorgt jedoch die Defensive, die von Verletzungssorgen geplagt ist. Das Spiel wird sowohl für die Titelansprüche als auch für die Strategie des Teams richtungweisend sein, war doch die gute WM das Ergebnis eines soliden Mannschaftspiels.

Im Anschluss findet auch das erste Spitzenduell der EM statt. Das deutsche Rezept gegen Portugal finde ich äußerst innovativ. Konditionstraining mit Gina Lisa und Stahlhelm sollen vielleicht bloß von der Teppichaffäre des deutschen Entwicklungshilfeministers ablenken. Ich gehe eher davon aus, dass das deutsche Team versuchen wird, den Spielrhythmus zu bestimmen, so dass Cristiano Ronaldo gar nicht zum Zuge kommt. Es wäre nämlich ein großes Risiko, sich bloß auf den Star von Real Madrid zu konzentrieren, weil die Selecção das Quinas mit Nani, João Moutinho und Raul Meireles auf andere Hochkaräter baut und nicht gänzlich vom Schönling aus Funchal abhängt.

02.06.2012

Calcio will tear us apart

Wo soll ich nur anfangen? Bei der triumphalen Meisterschaft von Juventus Turin? Dem neuen Wettskandal, der sich als Büchse der Pandora erweisen könnte? Der anstehenden EM aus italienischer Sicht? Oder der enttäuschenden Saison meines AS Rom? Im Sammeln von Fragezeichen habe ich mir schon mal eine kleine Auszeichnung verdient.

Gehen wir der Einfachheit halber zur abgeschlossenen Profisaison. In den nächsten Tagen gehe ich vor allem auf die squadra azzurra ein, da der Wettskandal auch große Auswirkungen auf das Nationalteam hat.

In meinem letzten Beitrag Ende April, vier Spieltage vor Saisonende, hatte Juventus drei Punkte Vorsprung vor Milan. Den rossoneri ging in den letzten Spielen die Puste aus, bestes Beispiel war das 2-4 im Derby gegen Inter am vorletzten Spieltag,  die alte Dame aus Turin konnte schließlich souverän seine 28. Meisterschaft feiern, ohne Saisonniederlage.

Getrübt wurde sie jedoch durch das überhebliche Selbstverständnis des Rekordmeisters. Die Turiner hegen immer noch Anspruch auf die zwei aberkannten Titel von 2005 und 2006, die aufgrund des kurz vor der WM 2006 enthüllten Manipulationsskandals aberkannt worden waren. So prangt seit Neuestem ein übergroßer scudetto mit einer 30 an der Fassade des Juventus Stadiums. Trotz der bewiesenen Manipulationen gefällt sich der Verein in der selbst konstruierten Opferrolle, obwohl die diesjährige Meisterschaft als Neuanfang verstanden werden sollte. Das Team hat durch den erfolgreichen Mix aus jungen und erfahrenen Spielern und der Wahl des richtigen Trainers die Basis für die Rückkehr unter den europäischen Topteams geschaffen. Antonio Conte, Mittelfeldmotor von Juve in den Neunzigern, hat bei seinem ersten großen Klub auf Anhieb den Titel gewonnen. Sein Vertrag wurde umgehend verlängert, nun bleibt abzuwarten, inwiefern er auch in den aktuellen Skandal verwickelt sein könnte.

Beim AC Mailand klingeln dagegen die Alarmglocken. Der titelverwöhnte Ibrahimovic ging leer aus und murrte sofort nach Saisonende. Zwar wurde er Torschützenkönig, doch gerade sein Egoismus wurde der Mannschaft oft zum Verhängnis. Das überalterte Team steht vor einem großen Umbruch. Gattuso, Nesta, Van Bommel und Inzaghi werden den Verein verlassen, bei Seedorf und auch einigen jungen Topspielern wie Thiago Silva und Pato sieht es auch stark danach aus. Viel zu viele Leistungsträger, die nicht von heute auf morgen ersetzt werden können.

Überraschender Dritter wurde Udinese. Der Verein aus Friaul lebt davon, Jahr für Jahr junge Talente aus der ganzen Welt aufzubauen und für ein Vielfaches weiterzuverkaufen, doch so lange der mittlerweile 34-jährige Di Natale fleißig seine Tore schießt, ist auch ein Platz in den oberen Rängen garantiert, wie in der Vorsaison nehmen die Zebras an der Champions-League-Qualifikation teil.

Lazio konnte nach Kloses längerem Ausfall und dem Bruch mit Trainer Reja nicht mehr an die erste Saisonhälfte anknüpfen. Neapel konnte sich dagegen mit dem Sieg der Coppa Italia gegen Juventus (2-0) und einer positiven Champions-League-Teilnahme trösten.

Chaotisch ging es vor allem bei Inter Mailand zu, mit Ach und Krach wurde der letzte Europa-League-Platz erreicht. Die Verpflichtung von Gasperini als Trainer zu Saisonbeginn war ein großes Missverständnis, der dröge Ranieri konnte der Mannschaft auch kein neues Leben einhauchen. Erst als der Jugendtrainer Stramaccioni, der erst zu Saisonbeginn vom AS Rom losgeeist worden war, das Heft in die Hand nahm, kehrten die nerazzurri auf die Erfolgsspur zurück.

Ganz aus den Europapokalplätzen rutschte dagegen der AS Rom. Nach einem holprigen Saisonstart schien es, als habe Luis Enrique zum Ende der Hinrunde sein Team gefunden. Doch die etlichen Abwehrfehler, der sterile Ballbesitz und die Unbeherrschtheit einiger Akteure zeigten all die Unerfahrenheit des spanischen Trainer auf, für den der Sprung von Barcelonas B-Mannschaft in die Serie A doch zu groß war. Die Euphorie rund um den jungen Coach und seinen Traum vom Offensivfußball war verpufft, nun stehen wieder weitreichende Veränderungen an. Auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft wurde auf die Vergangenheit zurückgegriffen. Zdenek Zeman, Prophet des attraktiven Fußballs und Spezialist für junge Talente, war bereits von 1997 bis 1999 Trainer in der Kapitale und maßgeblich für Tottis Entwicklung. Nach einer meist erfolglosen Odyssee bei kleineren Vereinen in Italien und im Ausland führte er diese Saison Pescara nach 19 Jahren Abstinenz in die Serie A zurück.

Dieser Sommer steht für den gesamten italienischen Fußball ein großer Umbruch an. Es war die letzte Serie-A-Saison für die Weltmeister Del Piero, Nesta, Gattuso und Inzaghi. Sie werden ihre Karrieren wahrscheinlich in anderen Ligen ausklingen lassen. Seit Jahren setzen die Teams verstärkt auf günstige Spieler aus anderen Ländern, doch Juves Erfolg mit einer fast ausschließlich aus italienischen Spielern bestehenden Mannschaft könnte für ein Umdenken sorgen, einige vielversprechende Talente wie Mattia Destro, Fabio Borini oder Sebastian Giovinco beweisen, dass die Serie A auch gute Eigengewächse hervorbringt. Deutschland wurde schon immer von den Italienern in vielen Bereichen oft bewundert, vielleicht sollte der Fußballboom als Vorbild genommen werden, um etwas Struktur in den calcio zu bringen. Bevor alles auseinander bricht.