29.06.2010

Fußball, Kamera und Action

Nun sind alle Achtelfinalspiele bei der WM vorbei, dabei konnte man wieder mal alles erleben, was die K.O.-Runde aufbieten kann. Und sogar etwas mehr. Vom langweiligen Ballgeschiebe über enge, umkämpfte Spiele bis hin zu klaren Siegen, gar einem legendären Duell. Egal wie stark der Sport heutzutage kommerzialisiert sein mag, der Fußball lebt vom Mythos, von der Legendenbildung.


Eine 44 Jahre alte Legende hatte für einen Moment im Spiel Deutschland gegen England seinen großen Auftritt, als würde Jesu Christi seinen Jüngern wieder erscheinen. Lampards Schuss zum 2-2 wurde nicht gewertet, obwohl der Ball klar hinter der Linie war. Das Wembley-Tor von 1966 lebte wieder auf. Bloß waren in jenem Augenblick die Rollen vertauscht. Für "Fußballdeutschland" war es die Revanche an Geoff Hursts Treffer zum damals vorentscheidenden 3-2. Aus neutraler Sicht war es wieder eine der vielen Geschichten, die der Fußball schreibt. Der Fußball lebt von dieser Faszination. Er ist oft ungerecht, oft bricht er dir das Herz, doch schenkt er Dir auch unvergessliche Momente, und am Schluss sind wir einfach das, was wir eben sind. Menschen. Mit allen Höhen und Tiefen. Solch einen Drehbuchautor wünscht sich jedes Filmstudio, von Hollywood bis Mumbai.

Um den Fußball in seiner Essenz, dem Spiel, nicht ganz aus den Augen zu verlieren, will ich mich vor dem Spiel der deutschen Mannschaft verneigen. Die junge Truppe hat es geschafft, das Fehlen einer klaren Führungsfigur zu kompensieren, und das über den Teamgeist, der beim Mannschaftssport das Alpha und Omega darstellt. Vielleicht hätte alles anders laufen können, wäre Lampards Treffer gezählt, doch das gehört eben dazu und darum muss man auch vor der Fairness der englischen Öffentlichkeit den Hut ziehen, die die Überlegenheit der deutschen Mannschaft anerkannt haben.


Das Aufleben des Mannschaftsgeistes ist es, was mir bei dieser WM große Freude bereitet. Man sehe sich die verbliebenen Teams an, zwar gibt es überall Spieler, die herausstechen, doch schließlich ist der Erfolg immer auf viele Schultern verteilt. Da können Nike und Adidas noch so viele Werbespots produzieren, in denen einzelne Stars zu übermenschlichen Wesen aufgebauscht werden. Wie viel solch ein Konzept wert ist, hat man an Rooney, Ronaldo oder Ronaldinho, der nicht mal dabei war, gesehen. Auch bei Messi hoffe ich, weniger sinnlose Sololäufe zu sehen, denn dann könnte er zu dem WM-Star werden, der er sein will. Fällt es dem piojo schwer, aus Maradonas Schatten bei diesem Turnier herauszutreten?

Es hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Leidenschaftliche Ghanaer werden auf clevere Uruguayer treffen, Spanien kann auf den treffsicheren Villa zählen, der einen immer noch nicht fitten Torres vergessen lässt. Mit den sehr defensiven Paraguayern könnte es jedoch ähnlich schwer wie mit Portugal werden. Mit Deutschland-Argentinien und Brasilien-Niederlande erwarten uns zwei hochkarätige Partien im Viertelfinale, doch die Erwartungen sollten nicht zu hoch sein, sonst wird man schnell enttäuscht, wie die taktisch geprägte Partie zwischen Spanien und Portugal heute bewiesen hat. Aber auf eines dürfen wir uns sicher freuen. Viel Drama.

26.06.2010

Baila, baila... - Lateinische Tänze bei der WM

Gestern wurden die letzten Vorrundenspiele der WM 2010 ausgetragen, mit Brasilien, Portugal, Spanien und Chile haben sich weitere vier "lateinische" Länder für das Achtelfinale qualifiziert, so dass die Hälfte der 16 verbliebenen Mannschaften spanisch oder portugiesisch spricht. Damit steht bereits das Leitmotiv der südafrikanischen Fußballweltmeisterschaft in Südafrika feststeht. Es wird kein Waka Waka getanzt, sondern Samba, Cueca, Fado und Flamenco.

Es sollte die WM der afrikanischen Mannschaften werden, bloß Ghana ist übrig geblieben. Zwar macht der Fußball Afrikas weiter seine Fortschritte, doch wie bei den vorherigen Weltmeisterschaften fehlt es an Kontinuität. Ghanaer wird es zudem mit den USA zu tun haben, bei denen die intensive Jugendarbeit sowie die Professionalisierung des soccer Früchte zeigt. Mut machen könnte deren Begegnung bei der WM vor vier Jahren, als die Black Stars mit 2-1 die Stars & Stripes bezwangen und sich auch damals für das Achtelfinale qualifizieren konnten.

Dass die WM-Gastgeber von 2002, Japan und Südkorea, im Turnier geblieben sind, ist dagegen ein positives Signal der beiden stärksten Vertreter des asiatischen Kontinents. Die taktisch klugen Uruguayer werden es jedenfalls mit technisch versierten und laufstarken Koreanern nicht allzu leicht haben. Europa dagegen hat stark an Boden verloren, die WM-Finalisten von 2006 sind nach enttäuschenden Leistungen bereits nach Hause geflogen, sowohl Frankreich als auch Italien steht ein großer Umbruch bevor.

Die beiden Erzrivalen England und Deutschland treffen morgen aufeinander, eine wahre Nervenschlacht ist vorprogrammiert, dabei wird das Feld der Europäer weiter dezimiert. Schade eigentlich, denn beide hätte man nun vom Potential her zum Kreis der letzten Vier zählen können, vor allem die junge deutsche Mannschaft hat die technischen Mittel, gerade jetzt wird es sich zeigen, wie sehr eine Leitfigur wie Ballack ersetzt werden kann.

Im Anschluss daran wird der große Titelfavorit Argentinien in seinem Achtelfinale wieder auf Mexiko treffen, wie schon vor vier Jahren, als die Mexikaner erst nach der Verlängerung die Segel streichen mussten. Auf dem Papier sind die gauchos klarer Favorit, doch habe ich das Gefühl, dass die Mexikaner nicht so leicht abgeschrieben werden sollten.



Bei den weiteren Partien scheint das Spiel der abgeklärten Niederländer gegen die überraschenden Slowaken von vornherein entschieden, doch ähnliches dachten wohl auch die Italiener... Die "europäischsten" Brasilianer aller Zeiten, was man bereits bei der Copa América 2007 sehen konnte, werden versuchen, den Chilenen ihre Spielfreude zu nehmen, um mit ihrer kaltschnäuzigen Offensive das deklarierte Ziel vom 6. WM-Titel weiter zu verfolgen. Paraguay gegen Japan scheint wiederum recht ausgeglichen, beide Teams haben mit akzeptablen, aber sicher nicht überragenden Leistungen, die nächste Runde erreicht.

Europameister Spanien hat nun die große Chance, auch auf WM-Ebene den großen Coup zu landen, Portugal muss dagegen das Etikett einer spielstarken, doch erfolglosen Fußballnation erst noch abschütteln. Wie bei Deutschland gegen England lebt das Duell der beiden Nachbarn von der iberischen Halbinsel vor allem von seiner Brisanz.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Mannschaften nicht gegenseitig annullieren werden, wie wir es allzu oft während der Gruppenphase erleben durften. Es ist eine WM, das darf nicht vergessen werden, den Mannschaften wird es nicht darum gehen, mit Zauberfußball die Herzen der Zuschauer zu erobern. Manche eben mit etwas mehr Elan, manche wiederum mit einem etwas vorsichtigeren Ansatz. Ein heißer Tanz steht an. Wir werden sehen, zu welchen Rhythmen.

24.06.2010

Kunstloses Brot - Italien und die Negation des Fußballs

In Zeitlupe segelte der Ball über Marchetti hinweg und landete im Tor. Es war das letzte Bild, dass ich vom italienischen Debakel in Südafrika sah. Nach dem 3-1 der Slowaken schaltete ich den Büromonitor aus, stempelte mich aus und verließ mit meinem Kollegen das Gebäude, um endlich meine Feierabendzigarette anzuzuzünden.

Keine Trauer lag in meinem Herzen, nur eine gewisse Leere, aber vor allem auch ein erlösendes Gefühl. Endlich hatte der Spuk für mich ein Ende. Ich erklärte meinem Freund noch, dass die squadra azzurra von Beginn an überhaupt nicht Fußball gespielt hatte und dass den Slowaken eine ordentliche Leistung genügt hatte, um die völlig konzeptlose italienische Mannschaft zu schlagen.

Logik war schon immer mein Feind, ich bin ein Sohn des Chaos, des Wahnsinns, und hoffentlich auch des Genies. Endlich hatte ich die Logik durchschaut, Italiens sang- und klangloses Ausscheiden bei der WM 2010 war die Konsequenz aus einer von Spiel zu Spiel schwächer werdenden Gesamtleistung, der Hilflosigkeit des Trainers, der in jedem Spiel ein anderes taktisches Konzept gewählt hatte und dieses zur Halbzeit wieder über Bord werfen musste. Wie ein angeschlagener Pirlo, der keine gute Saison gespielt hatte, für eine Verbesserung des Ganzen sorgen sollte, bleibt mir schleierhaft.

Es sorgte für einige Verwunderung, als ich erfahren durfte, dass sogar der Anschlusstreffer zum 2-3 gelungen war und im Anschluss sogar der Ausgleich mit der damit verbundenen Qualifikation möglich war. Doch dieses Mal hatte die Logik endlich Recht behalten. Ich bin im Hier und Jetzt gelandet und bin endlich frei. Frei von der Qual, für eine Mannschaft ohne Qualität leiden zu müssen. Frei von der Wut über einen Trainer, der alles falsch gemacht hat. Angefangen bei der Wahl des WM-Kaders über die taktischen und personellen Entscheidungen während des Turniers bis hin zu seiner Pressekonferenz nach dem Spiel.

"Ich nehme alle Schuld auf mich", sagte der sichtlich enttäuschte Lippi. "Die Spieler waren verängstigt und terrorisiert, ich kann mich nur bei den Fans entschuldigen." Ich kann diesem Mann keine Größe in seiner dunkelsten Stunde anrechnen, wenn von vornherein entscheidende Fehler begangen und diese mit arroganten und fadenscheinigen Argumenten ("In Italien sind keine Ausnahmespieler gelassen worden") noch in Schutz genommen worden sind. Was will man von einem Trainer erwarten, dessen Abschied bereits vor der WM beschlossene Sache war, dessen Nachfolger bereitsteht? Ein wahres Kunststück hat Lippi dennoch vollbracht. Seine Mannschaft bot eine noch schlechtere Darbietung als Donadonis Truppe bei der EM 2008.

Als mein Lieblingsspieler De Rossi mit einem eklatanten Fehlpass den Untergang einleitete, war die Sache für mich die WM aus italienischer Sicht abgeschlossen. War gegen Paraguay zumindest ein bemühtes und zugleich mühseliges Spiel nach vorne zu sehen, wurde dies gegen Neuseeland mit sinnlosen Flanken und Bällen in die Spitze karikiert. Der vollkommen passive Auftritt bis zum 0-2 war vollkommene Resignation. Die Zeitungen reden zurecht von einer Schande, es war ein peinlicher Auftritt, doch ich habe keinen Grund zu trauen. Ich bin endlich frei.

Die furiosen Schlussminuten waren kunstloses Brot. Ein mehliger Pizzateig, dem der so wichtige Belag fehlte. Ranziger Käse in Form überalterter Weltmeister, unreife Tomaten, dargestellt von jungen Spielern, denen die internationale Klasse fehlt, sind keine Zutaten, um in der leichtesten WM-Gruppe bestehen zu können. Vom ersten Moment an hat Italien den Fußball negiert und nur in wenigen Momenten ansatzweise etwas mit dem Sport zu tun.

Nach der desolaten WM soll nun Claudio Cesare Prandelli aus dem italienischen Scherbenhaufen ein Team internationalen Formats schaffen. In seinen Jahren in Florenz konnte er beweisen, dass er weiß, wie man junge Spieler aufbaut, doch wirklich überzeugen konnte er nicht, auch weil er noch nie mit einem großen Verein um Titel mitspielen konnte. 2004 hatte er zwar beim AS Rom den Trainerposten übernommen, doch nach dem tragische Tod seiner krebskranken Frau entschloss er sich nach wenigen Wochen, sich für ein Jahr vom Fußball zurückzuziehen. Prandelli bewies damals bereits seine menschliche Größe. Und das zählt zu den wichtigen Dingen des Lebens. Nicht der Fußball, der nur eine Allegorie des Lebens darstellen kann.

Özil, Gefühle und The Van Pelt

Oft reichen einfach nur kurze Momentaufnahmen. Mit ihrem Pathos, ihrer Ausdruckskraft, ihrer Symbolik. Sie bringen es genau auf den Punkt, es bedarf keiner langen Abhandlungen, keiner präzisen Analyse, um darzulegen, was geschieht. In Italien kennen sie alle Tardellis befreienden Jubellauf nach seinem Treffer gegen Deutschland im WM-Finale 1982. Als Maradona vier Jahre später fast sechs englische Spieler narrte, blieb die Zeit im Estadio Azteca stehen.

Als Mesüt Özil am heutigen Abend seine "linke Klebe" gegen Ghana auspackte, sorgte er bei Millionen Fußballfans für Erleichterung. Der geniale Spielmacher von Werder Bremen hatte bereits in der ersten Halbzeit eine Riesenchance im Alleingang, doch war sein Versuch, den Schuss platziert im Tor unterzubringen, an Kingson gescheitert. "Scheiß auf Gefühl" lautete da die Devise des türkischstämmigen Gelsenkircheners. Manchmal muss man eben das Gefühl außer Acht lassen, um sein Glück zu erzwingen.

Verblüffend sind die Parallelen mit dem Turnierverlauf für Deutschland bei der EM 2008. Auch damals musste Ballack mit einem Gewaltschuss die Erlösung herbeiführen. Erfreulich, dass die ebenbürtigen Ghanaer ins Achtelfinale vorrücken.

Die deutschen Spieler, aber auch die Fans auf den Tribünen in Johannesburg sowie vor den Fernsehern und Leinwänden weltweit mussten leiden. "It's a suffering". The Van Pelt wusste das schon. Jeder echte Fußballfan weiß dies ebenso gut. Man möge mir verziehen, wenn ich mit dem schwammigen Wort "echt" zu differenzieren versuche. Zwischen denen, die nur sporadisch mitfiebern, und denen, die Fußball leben, ihn atmen, daran zerbrechen und durch ihn wieder auferstehen können.

Ich gehöre zu der zweiten Sorte. Ich habe Rom gegen Manchester 7-1 verlieren sehen und lief wie betrunken durch die Straße. Ohne einen Tropfen Alkohol in meiner Blutbahn. Nur unendlich Leid. Ich habe die italienische Nationalmannschaft vier WM-Turniere hintereinander auf bittere Weise, meist im Elfmeterschießen, verlieren sehen. Ich musste zweimal, im EM-Finale 2000 und im WM-Achtelfinale 2002, etwas Unerhörtes erleiden. Augenblicke, Momente. Für mich handelte es sich um sudden death, für Frankreich und Südkorea waren es Golden Goals.

In all diesen Jahren musste ich leider auch oft genug in Deutschland erleben, zu was sich sportliche Rivalität steigern kann. Es ist nicht schön, wie Medien mehr oder minder fremdenfeindliche Hetze betreiben und sich leider auch viele hetzen lassen. Es ist nicht schön, Menschen im Eiscafé der Eltern zu sehen, mit der Aussage, dass sie kein Eis mehr kaufen werden. Von den Drohungen und Beleidigungen ganz abgesehen.

1990, als Deutschland in Italien Weltmeister wurde, hatte ich mich gefreut, weil die argentinischen Finalgegner meine Lieblingsmannschaft, die meine ersten Fußballidole Roberto Baggio und Giuseppe Giannini aufstellte, um das Finale gebracht hatte. Ich musste direkt ins Bett, mein Vater war nicht so glücklich, Jahre später lernte ich auch, warum. Es ist ein zwiespältiges Verhältnis zu einem Land, in dem man viele Menschen ins Herz schließt, aber leider immer wieder auf welche, die einem das Gefühl geben, nur geduldet zu werden.

Ich bin heute Abend spontan doch noch vor die Tür, habe mit ein paar Freunden auf dem Saarbrücker Landwehrplatz das Spiel Deutschland-Ghana verfolgt und konnte mich für meine Freunde über das Ergebnis freuen. Wie man sich eben für Freunde freut. Es waren auch andere gute Menschen dort, Deutsche und Ghanaer. Für die Guten konnte ich mich freuen. Mein Kompass funktioniert noch.

20.06.2010

Kiwis im abgelaufenen Obstsalat

Nach dem halben Fehlstart gegen Paraguay sollte Italien mit dem 1-1 gegen Neuseeland die letzten Zweifel beseitigt. Der amtierende Weltmeister ist alles andere als ein Mitfavorit bei der WM. Bestärkt durch die wenig überzeugenden Auftritte anderer großer Fußballnationen in Südafrika, wurde das eher magere Unentschieden vom ersten Spiel innerhalb der Mannschaft als Zeichen dafür gewertet, dass die Chancen für eine Titelverteidigung gar nicht so schlecht stehen würden. Die spielerischen und taktischen Defizite haben die azzurri Lügen gestraft.

Wieder musste das Team einem durch einen Standard eingeleiteten Rückstand hinterher laufen, ebenso war es eine Standardsituation, die für den Ausgleich sorgen musste. Wenig nützt es den ewigen Haderern, dass der frühe Treffer der Neuseeländer womöglich wegen einer Abseitsstellung oder durch ein Foul hätte aberkannt werden müssen, wenn im Gegenzug das naive Geschenk in Form eines Trikotzupfers zum rettenden Elfmeter führte, jedoch eher Verzweiflung als Motor der italienischen Offensivbemühungen fungierte.

Ordentlich ausgeführte Spielzüge? Fehlanzeige. Entweder versuchten es die Italiener mit Einzelaktionen oder sterilen Flanken vom Fließband, die gegen die hochgewachsene Hintermannschaft aus Ozeanien fruchtlos blieb. Fruchtlos wie ein abgelaufener Obstsalat, dem die Süße schon längst abhanden gekommen ist. Kein farbenfroher "tutti frutti"-Fußball, sondern Camoranesi-Wurst oder hüftsteifes Cannavaro-Schnitzel beziehungsweise Abwehrschnitzer. Da die Italiener weltweit größter Produzent von Kiwifrüchten sind, hatte der erfolglose Auftritt gegen die Kiwis aus Neuseeland in der Tat eine witzige Seite für Freunde des Wortspiels und die Ökotrophologen unter uns.

Ein generell wünschenswerter Trend dieser WM sah sich zudem wieder bestätigt: die ehemals kleinen Fußballnationen haben im taktischen Bereich Boden gut gemacht, gerade im Defensivbereich. Auf der Gegenseite scheint es aber auch, dass es insgesamt an Kreativität mangelt. Darum sind Typen, die mit ihrer atypischen und nicht in Schemata gepressten Spielart auftreten, wie das Manna, das vom Himmel fällt. Ein wirkliches Zwischenfazit zu allen Teams erlaube ich mir jedoch erst nach dem Ende der Gruppenphase.

15.06.2010

De Rossi und die Identität

Lange genug hat dieser Blog Staub angesetzt, was böte sich da besser an als der erste Auftritt der italienischen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika, um einen Versuch zu starten, dem Ganzen wieder Leben einzuhauchen.

Wie zu erwarten war, hat sich die squadra azzurra nicht mit Ruhm bekleckert. Die Meister des Ergebnisfußballs, die getreu dem ökonomischen Prinzip mit minimaler Leistung das Maximale zu erzielen wissen. Ähnliches spielte sich gestern Abend in Kapstadt ab. Wie so oft war es eine Standardsituation und der eklatante Torwartfehler von Vilar, der den amtierenden Weltmeistern zum Torerfolg verhalf.

Es war im Grunde keine Überraschung, dass die in der WM-Qualifikation überzeugenden Paraguayer eine gute Figur abgeben würden, gerade gegen den amtierenden Weltmeister, Opfer einer bereits 1986 gesehenen Schizophrenie. Einerseits hielt Lippi an vielen seiner Helden von Berlin trotz ihres Alters und ihrer Formschwäche fest, andererseits wurden jüngere Spieler integriert, die jedoch keinen internationalen Ansprüchen genügen.

Vor allem jedoch fehlt es der Mannschaft an Spielwitz. Weder kann diese Mannschaft, die zudem in ein nicht auf sie zugeschnittenes System gepresst wird, durch ansehnliches Kombinationsspiel nach vorne spielen, noch gibt es Spielertypen, die mit einer zündenden Idee das Spiel entfachen könnten. Der verletzte Pirlo ist der Godot, auf den Lippi wartet, doch auch der Regisseur des AC Milan hat keine gute Saison gespielt.


Gegen die Südamerikaner war das Spiel der Italiener zwar stets bemüht, die Angriffsbemühigungen wirkten jedoch stets zu mechanisch, ideenlos. Trainer Lippis Aufstellung ließ bereits zu wünschen übrig, doch auch auf dem Platz waren die Mittel der Akteure im Offensivspiel beschränkt. Es war symptomatisch, dass eine Kämpfernatur wie De Rossi für den heilbringenden Ausgleich sorgen musste. Als einer der verbliebenen Weltmeister und gerade mal 26 Jahren repräsentiert der blondbärtige Mann aus Ostia auch das Bindeglied zwischen der alten und der jungen Generation.

Für mich persönlich war es eine doppelte Freude, dass ein Römer und romanista das Tor geschossen hat. Ich bin skeptisch, was Lippis Entscheidungen anbelangt und wäre sehr überrascht, wenn die Mannschaft über das Viertelfinale hinaus kommen sollte, was in etwa der aktuellen Dimension der azzurri entspricht. Dennoch drücke ich diesen Spielern die Daumen, was sich hauptsächlich durch Gesten und Flüche ausdrückt, wie ich es auch beim Autofahren halte. Hassliebe?

Denn an etwas im Grunde so Nichtigem wie Fußball orientiere ich, wenn es um der Suche nach dem Sinn ergibt. Wo komme ich her? Was bin ich? Wo will ich hin? Die stete Suche nach der eigenen Identität spielt für einen von Gedanken durchdrungenen Menschen eine große Rolle. Umso schwerer fällt dies, wenn man Wurzeln in einem anderen Land und anderen Kultur besitzt. Ein Teil meiner Identität, einfach meiner Art zu sein, hat seinen Ursprung in den Dolomiten, in den Abruzzen und zu guter Letzt in Rom. Eine lebenslange Suche, in der das Herz mein Kompass ist. Und wenn es "zu Hause" tanzen sollte, täte es dies zu "Bella Ciao".