13.07.2010

¡Basta! Spanische Noten mit römischer Note

Die Weltmeisterschaft ist nun seit zwei Tagen vorbei. Eine Handvoll Leute freut es, dass der Wahnsinn vorüber ist, viele kehren zu ihrem Tagesgeschäft zurück, mit all seinen kleinen Freuden und Sorgen. Dann gibt es auch diejenigen, die in ein kurzes Loch gefallen sind. Wie sonst die Zeit sinnvoll verbringen? Die hart gesottenen Fußballfanatiker sollten die geringsten Probleme haben, können sie sich doch komplett mit ihren Lieblingsvereinen beschäftigen. In der Vorbereitung wird bereits geschwitzt, die Gerüchteküche brodelt... Egal ob in Madrid, Mailand oder München.

Für mich ist es erst einmal Zeit, einen kleinen Fazit zu ziehen. Dass die WM in Südafrika etwas bunter war, die Stadien jedoch nicht immer voll, dass die Schiedsrichter gerne daneben lagen und die deutsche Mannschaft als unterhaltsamste Überraschung das Turnier abgeschlossen hat, wurde zu genüge berichtet. Gerade der souveräne Sieg gegen Löws Team hat den WM-Titel der Spanier meiner Meinung nach gerechtfertigt.

Das Finale war, wie ich befürchtet hatte, von viel Nervosität geprägt und vom Spielerischen her gar schlimmer, als ich dachte. Die zum Teil überharten Niederländer setzten auf Konter, scheiterten aber kläglich, die etwas konzeptlosen Spanier zeigten erst im späteren Spielverlauf, dass sie eher den Sieg erzwingen wollten. Iniestas Tor war für mich auch etwas befreiendes, da es zum Teil eine wirkliche Qual geworden war, zuzuschauen. Ergreifend, dass Barças Spielmacher sein Tor dem verstorbenen Jarque mit einem Spruch auf seinem Unterhemd widmete.

Nicht weniger ergreifend war der Moment, als Iker Casillas seine Freundin Sara Carbonero, Journalistin für das spanische Fernsehen, während des Interviews nach dem Spiel küsste. Und dabei behaupteten böse Zungen zu Turnierbeginn, sie würde den Torhüter und Kapitän der furia roja zu sehr ablenken.

Vor einigen Jahren habe ich bereits in einem italienischen Forum und meinem alten Blog über den AS Rom Noten verteilt, natürlich mit einer römischen Note, was aber auch bei der spanischen Weltmeistermannschaft klappen sollte...

Iker Casillas - Cor core in mano / Mit dem Herz in der Hand - Sprichwörtlich offen und ehrlich zeigte Madrids Tormann der Welt seine Liebe zu Sara Carbonero. Die Hände setzte Casillas jedoch auch als Torhüter überaus erfolgreich ein, wie beim gehaltenen Elfmeter gegen Paraguay oder gegen Toni Kroos im Halbfinale. Seit Jahren einer der weltbesten Tormänner und mit dem Lew-Jaschin-Preis bei der WM prämiert.

Sergio Ramos - Er martello pneumatico / Der Presslufthammer - Der blonde Andalusier ist erst 24 Jahre alt und doch gehört er seit langem zur internationalen Spitze auf der rechten Abwehrseite. Früher oft für sein ruppiges Auftreten berüchtigt, ist er zu einem unüberwindbaren Verteidiger mit ständigem Offensivdrang gereift, wahrscheinlich rennt er in bester Forrest-Gump-Manier immer noch die rechte Außenbahn entlang.

Gerard Piqué - Li occhi della tigre / Die Augen des Tigers - Die stahlblauen Augen des Barçaverteidigers strahlen eine unendliche Ruhe aus, als breite sich ein unendliches Meer in der Seele des 23-jährigen aus. Seit 2008 ist Piqué in seiner Heimatstadt zurück, in den vier Jahren davor lernte er alle Feinheiten des englischen Fußballs kennen und gehört nun zu den komplettesten Abwehrspielern weltweit.

Carles Puyol - L'incredibile Hulk / Der unglaubliche Hulk - Seien wir ehrlich, mit seinem Aussehen wird Puyol niemals einen Schönheitspreis gewinnen können. Doch das muss er auch nicht, seinen Job als erfahrener Anführer der spanischen Hintermannschaft erledigte der robuste Mann mit der Antifrisur aus bis auf wenige Schnitzer tadellos.

Joan Capdevila - L'assicurazione / Die Versicherung - Seit Jahren findet sich in Spanien kein talentierter Linksverteidiger, so dass Capdevila bereits 2008 als unscheinbarer, dennoch fähiger Stammspieler zum EM-Titel beitrug. Nicht anders hat es sich in Südafrika verhalten. Ohne zu glänzen, aber vor allem ohne zu patzen, hat er die linke Seite abgesichter und hat wie die namhafteren Mitspieler Geschichte geschrieben. Auch solche Spieler braucht ein Team.

Xabi Alonso - Er metronomo / Der Metronom - In einem aus Fußballkünstlern zusammengesetzten Mittelfeld spielt gerade dem Mann vor der Abwehr eine tragende Rolle. Mit ihm steht und fällt das ganze System. Xabi Alonso sorgte für die nötige Absicherung und fungierte als Taktgeber mit präzisen Zuspielen, wobei sein knallharten Schuss auch immer für Gefahr sorgen konnte. Noch vor zwei Jahren der 12. Mann, hat er nach einer enttäuschenden Saison bei Real Madrid seine Qualität bei der WM beweisen können.

Francesc Fàbregas - Er conijio dar cilindro / Das Kanichen aus dem Hut - In fast allen anderen Mannschaften wäre ein hochtalentierter Fußballästhet wie Cesc Fàbregas gesetzt, im spanischen Orchester musste Arsenals Ausnahmespieler oft zusehen. Im Finale zauberte Spaniens Trainer Del Bosque den Mittelfeldmann aus seinem Zylinder und siehe da, sofort setzte Fàbregas Akzente nach vorne und sorgte für Schwung im spanischen Spiel und legte für Iniestas Siegtor auf.

Sergio Busquets - L'ago de la bilancia / Das Zünglein an der Waage - Im Zusammenspiel mit Xabi Alonso sorgte Busquets für das Gleichgewicht im Spiel des Weltmeisters. Seine Aufgabe war oft unscheinbar, in der Rolle des "Wasserträgers" ging jedoch der 22-jährige aus Sabadell voll auf und hielt seinen Mitspielern immer den Rücken frei.

Xavi Hernandez - L'architetto / Der Architekt - Ein Pass nach dem anderen lief über die Schaltzentrale aus Barcelona. Xavi verlieh dem Spiel seine Struktur, er legte das ihr sein Fundament. Unverzichtbar.

Andrés Iniesta - L'emozione / Das Gefühl - Er schoss mit seinem Treffer ganz Spanien in ein unendliches Glück. Immer wieder bot sich der stille Arbeiter mit den feinen Füßen an, der Ball und er gehen bei jeder Berührung eine Symbiose an, die Kunst und Realität zugleich darstellen. Ergreifend.

David Villa - L'omo fatto gol / Das menschgewordene Tor - Mit seinen fünf Treffern trug der Mann entscheidend zum Titelgewinn bei. Kaum einem anderen Spieler in Europa gelingt es seit Jahren, ständig am richtigen Ort zu sein und dennoch bezaubernde Tore zu erzielen. Im Finale blieb ihm ein Treffer verweht, doch der Derwisch sorgte ständig für Unruhe in der niederländischen Hintermannschaft. Der ungeahndete Schlag ins Gesicht gegen Honduras' Izaguirre sorgt für einen faden Beigeschmack. Doch da frage ich mich, nach welchem Kriterium der Videobeweis von der FIFA gehandhabt wird.

Fernando Torres - Er frustrato / Der Frustrierte - Es war einfach nicht die WM des Fernando Torres. Wie so viele andere Weltstars des Fußballs blieb ihm der Torerfolg versagte, so dass er sogar aus der Stammelf gedrängt wurde. Im Finale durfte er für einen ermatteten Villa kurz vor dem 1-0, bei dem er ein wenig beteiligt war, eingewechselt werden und sich kurz darauf noch eine Verletzung zuziehen. Doch das wird dem niño am Ende auch egal gewesen sein.

Pedro Rodriguez - La scheggia impazzita / Der verrückt gewordene Funke - Der Wirbelwind sorgte im Halbfinale gegen Deutschland für Panik bei den Gegnern und Frust bei seinem Trainer, als er die Riesenchance zum 2-0 eigensinnig vergab. Gegen die Niederlande war dagegen der Wurm drin. Tanto fumo, niente arrosto. Viel Rauch, kein Braten, wie man Italien so sagt. Der Jungnationalspieler hat aber wie viele andere seiner Kollegen noch eine große Karriere vor sich.

Jesús Navas - La freccia in più/ Der Pfeil mehr - Pedro überzeugt nicht? Kein Problem für Del Bosque, der mit Jesús Navas noch einen Pfeil im Köcher hatte. Der quirlige Spieler aus Sevilla sorgte mit seiner Schnelligkeit für frische Wind, wenn seine Aktionen auch manchmal zu überhastet waren. Auch ihm gehört die Zukunft.

Vicente Del Bosque - L'omo co la bussola / Der Mann mit dem Kompass - Nach der überraschenden Niederlage im Auftaktspiel gegen die Schweiz ließ sich der Trainer nicht beirren. Die Gegner waren alles andere als Kanonenfutter, Fernando Torres war mehr Ballast als Galionsfigur, die Mannschaft wirkte manchmal konzeptlos oder wollte es zu kompliziert machen. Doch die Richtung stimmte, das wusste Del Bosque, und navigierte das spanische Schiff sicher durch recht turbulente Gewässer.

09.07.2010

Deutschland, das Opium ist alle

Die Betäubung hielt fast bis zum Schluss und nahm ein jähes Ende. Ein ganzes Land in Trance, in den Farben des Hambacher Festes gehüllt, musste zusehen, wie die Seele seiner bis dahin furios aufspielenden Mannschaft von Angst aufgefressen wurde. Das gewisse Quentchen Erfahrung fehlte bei den "jungen Wilden", der Europameister war eine Klasse abgebrühter, hatte von Beginn an die Fäden des Spieles in seiner Hand, rechtfertigte schließlich mit einer selten gefährdeten Dominanz den Finaleinzug.

Zum Halbfinale zwischen Deutschland und Spanien bleibt auch nicht viel mehr zu sagen, wie schon bei der WM vor vier Jahren unterlag die wohl unterhaltsamste Mannschaft des Turniers einem etwas reiferen Gegner und sollte darum erhobenen Hauptes als Verlierer vom Platz. Leider vergessen immer noch zu viele, dass gerade der Sport eine "Kultur des Verlierens" lehren kann, manchmal ist eben der Gegner besser oder hat das Glück auf seiner Seite.

Was mich vor allem fasziniert bei solchen Turnieren, ist die hypnotische Wirkung auf die Bevölkerung, die der Erfolg der geliebten Mannschaft auslösen kann. Der nationale Fußball ist gerade seit 2006 auch in Deutschland als Religion anerkannt. Eine Religion, der fast alle erliegen. Und hier trifft das berühmte Zitat "Religion ist Opium für das Volk" voll ins Schwarze. Die eigenen Sorgen sind wie verflogen, die großen Probleme im ganzen Land sind vergessen. Wehe, es reicht nicht zum ganz großen Glück, dann folgt die große Ernüchterung.

Bei zu vielen Idioten, anders kann man solche Personen nicht nennen, löst diese Ernüchterung gewalttätige Reaktionen aus, so auch in Saarbrücken. Glücklicherweise habe ich davon nichts bekommen, aber in vorherigen Artikeln habe ich genug über meine eigenen Erfahrungen mit den xenophoben Auswüchsen von Länderspielen erzählt. Dass auch die Verlierer mit den Gewinnern feiern können, durfte ich vor vier Jahren in Neunkirchen erleben, als der Großteil der enttäuschten deutschen Fans in der Innenstadt mit den Italienern feiern konnte. Oder diese zumindest in Frieden ließ.

Ich hoffe, dass das Spiel um den 3. Platz, so undankbar die Teilnahme daran auch sein mag, dennoch ein weiteres Fußballfest bieten wird, wie es doch oft genug während der K.O.-Runde der Fall war. Vielleicht rafft sich auch das Team aus Deutschland auf und bringt seinen Motor wieder zum Laufen. Eine Mannschaft, die noch viele spannende Fußballgeschichten schreiben kann, nun aber erst hungrige Uruguayer besiegen müssen. Denn das sollte nach dem Halbfinale klar sein: Von alleine lassen sich Spiele nicht gewinnen.

Am Sonntag im Finale wird es eine weltmeisterliche Premiere geben, darüber sollte sich jeder neutrale Fußballfan freuen. Auf der einen Seite Spanien, die gegen Deutschland ihr tiqui taca genanntes Spiel wieder entdeckt haben, auf der anderen Seite die Niederlande, die unaufhörliche ihre Siege einfahren.  pulen Ein Fußballfest könnte es zwar auch werden, doch wer den Fußball kennt weiß, dass dies bei Finalspielen selten der Fall ist. Auf die Spannung, die klirrende Hitze auf dem Platz, die die Luft auch in meiner Umgebung zum Vibrieren bringen wird, freue ich mich jetzt schon.

04.07.2010

Vom Sturz der Götter, von Menschen und Maschinen

Drama war mein Schlusswort im letzten Artikel, und Drama sollte uns geboten werden. Saarbrücken war in den letzten Tagen von einer unbeschreiblichen Hitze durchdrungen, das Gewicht großer Fußballmomente sollte sich für mich und die anderen Fußballbegeisterten im Wetter manifestieren. Heute morgen hat sich all die angestaute Hitze endlich entladen. Der Tag danach kommt einer Götterdämmerung gleich. Es schien so, als sei die WM 2010 fest in südamerikanischer Hand. Doch nach den Viertelfinalspielen bietet sich ein ähnliches Szenario wie bei der WM 2006, als vier Vertreter aus Europa den Titel unter sich ausmachten. Uruguay steht nun allein auf weiter Flur Deutschland, den Niederlanden und Spanien gegenüber. Vor allem jedoch wurden Argentinien und Brasilien, die zwei großen Favoriten aus Südamerika, jäh aus ihren Titelträumen gerissen.

Beide Mannschaften scheiterten letztlich auch an ihrer Überheblichkeit, ohne dabei die Verdienste des deutschen und des niederländischen Teams schmälern zu wollen. Dunga hatte aus der enttäuschenden brasilianischen Mannschaft von 2006, die dem selbst auferlegten Anspruch eines begeisternden jogo bonito nicht genügen sollte, eine rationale Mannschaft aus exzellenten Technikern geformt, die bis zum Halbzeitpfiff im Spiel gegen die Niederlande ihren Masterplan perfekt umgesetzt hatte.

Felipe Melo, der sogar Robinhos Führungstor eingeleitet hatte, wurde zur tragischen Figur. Der oft ungestüme Mittelfeldmann von Juventus Turin, der sich in Italien den unrühmlichen Titel bidone dell'anno, Mülleimer des Jahres, verdient hatte, eine Art "Goldene Himbeere" des italienischen Fußballs. Die Niederlande haben sich zu einem effizienten Uhrwerk Orange entwickelt. Vorbei die Zeiten des Totaalvoetbal, der in den Siebzigern von Cruyff und Co. zelebriert wurde. Der dominierende Offensivgedanke, der sich auch bei der EM 2008 nicht auszahlen sollte, ist einem erfolgreicheren nüchternen Stil gewichen.

Ähnlich nüchtern präsentiert sich Uruguay bei dieser WM, was den leidenschaftlich auftretenden Ghanaern zum Verhängnis wurde. Den dramatischen Höhepunkt der WM stellte wohl auch die Szene in der 120. Minute zwischen Uruguay und Ghana dar, als Suarez das sichere Siegtor für die Black Stars mit der Hand verhinderte und sich damit für seine Mannschaft opferte, um noch eine Minimalchance auf das Weiterkommen zu wahren. Asamoah Gyan, der an den Elfmeterpunkt trat, konnte die Last eines ganzen Kontinents auf seinen Schultern nicht stemmen.

Was sich dagegen am Samstag nachmittag zwischen Argentinien und Deutschland abspielte, war die Demontage eines Fußballgotts. Das frühe Standardtor für die deutsche Elf - nach zwei Jahren - war bereits das Vorzeichen für einen Tag, in dem alles richtig laufen sollte. Argentinien gelang es kaum, sein Offensivpotential in Torgefahr umzumünzen, die albiceleste wirkte immer ratloser und sah am Ende einem erneuten Torfestival des deutschen Teams ohnmächtig zu. Maradona mag mit seinem Charisma ein exzellenter Motivator für das Team gewesen sein, doch gerade in so einem Spiel fehlte eben ein wirklicher Trainer.

Deutschland begeistert mit seinem schnörkellosen, schnellen Fußball die Menschen im eigenen Land und im Rest der Welt. Wie dieser funktioniert, wird in diesem taz-Artikel wunderbar beschrieben. Die Mannschaft läuft und läuft und läuft wie ehemals der in der ganzen Welt beliebte Käfer. Dem perfekt geschmierten Motor wird mit Müller ein wichtiges Zahnrad gegen Spanien fehlen.

Die Spanier selbst haben jedoch mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, deren perfekte Kurzpassspiel kam auch gegen die taktisch geschulten Paraguayer oft ins Stottern, doch die Iberer konnten sich wieder auf einen überragenden David Villa verlassen. Lange schien es, als sollte die Partie als größte Ansammlung von technischen Peinlichkeiten in die Geschichte eingehen, bis der turbulente Elfmeterwahnsinn in der Mitte der zweiten Hälfte Pfeffer ins Spiel brachte.

Es ist der Tag nach der große Sause, die Alkohol- und Deutschlandfahnen von gestern sind verschwunden, mit all den sympathischen und weniger freundlichen Gesichtern, die die Fahnen zeigen. Schland ist nicht immer ein Sch...land.