02.06.2012

Calcio will tear us apart

Wo soll ich nur anfangen? Bei der triumphalen Meisterschaft von Juventus Turin? Dem neuen Wettskandal, der sich als Büchse der Pandora erweisen könnte? Der anstehenden EM aus italienischer Sicht? Oder der enttäuschenden Saison meines AS Rom? Im Sammeln von Fragezeichen habe ich mir schon mal eine kleine Auszeichnung verdient.

Gehen wir der Einfachheit halber zur abgeschlossenen Profisaison. In den nächsten Tagen gehe ich vor allem auf die squadra azzurra ein, da der Wettskandal auch große Auswirkungen auf das Nationalteam hat.

In meinem letzten Beitrag Ende April, vier Spieltage vor Saisonende, hatte Juventus drei Punkte Vorsprung vor Milan. Den rossoneri ging in den letzten Spielen die Puste aus, bestes Beispiel war das 2-4 im Derby gegen Inter am vorletzten Spieltag,  die alte Dame aus Turin konnte schließlich souverän seine 28. Meisterschaft feiern, ohne Saisonniederlage.

Getrübt wurde sie jedoch durch das überhebliche Selbstverständnis des Rekordmeisters. Die Turiner hegen immer noch Anspruch auf die zwei aberkannten Titel von 2005 und 2006, die aufgrund des kurz vor der WM 2006 enthüllten Manipulationsskandals aberkannt worden waren. So prangt seit Neuestem ein übergroßer scudetto mit einer 30 an der Fassade des Juventus Stadiums. Trotz der bewiesenen Manipulationen gefällt sich der Verein in der selbst konstruierten Opferrolle, obwohl die diesjährige Meisterschaft als Neuanfang verstanden werden sollte. Das Team hat durch den erfolgreichen Mix aus jungen und erfahrenen Spielern und der Wahl des richtigen Trainers die Basis für die Rückkehr unter den europäischen Topteams geschaffen. Antonio Conte, Mittelfeldmotor von Juve in den Neunzigern, hat bei seinem ersten großen Klub auf Anhieb den Titel gewonnen. Sein Vertrag wurde umgehend verlängert, nun bleibt abzuwarten, inwiefern er auch in den aktuellen Skandal verwickelt sein könnte.

Beim AC Mailand klingeln dagegen die Alarmglocken. Der titelverwöhnte Ibrahimovic ging leer aus und murrte sofort nach Saisonende. Zwar wurde er Torschützenkönig, doch gerade sein Egoismus wurde der Mannschaft oft zum Verhängnis. Das überalterte Team steht vor einem großen Umbruch. Gattuso, Nesta, Van Bommel und Inzaghi werden den Verein verlassen, bei Seedorf und auch einigen jungen Topspielern wie Thiago Silva und Pato sieht es auch stark danach aus. Viel zu viele Leistungsträger, die nicht von heute auf morgen ersetzt werden können.

Überraschender Dritter wurde Udinese. Der Verein aus Friaul lebt davon, Jahr für Jahr junge Talente aus der ganzen Welt aufzubauen und für ein Vielfaches weiterzuverkaufen, doch so lange der mittlerweile 34-jährige Di Natale fleißig seine Tore schießt, ist auch ein Platz in den oberen Rängen garantiert, wie in der Vorsaison nehmen die Zebras an der Champions-League-Qualifikation teil.

Lazio konnte nach Kloses längerem Ausfall und dem Bruch mit Trainer Reja nicht mehr an die erste Saisonhälfte anknüpfen. Neapel konnte sich dagegen mit dem Sieg der Coppa Italia gegen Juventus (2-0) und einer positiven Champions-League-Teilnahme trösten.

Chaotisch ging es vor allem bei Inter Mailand zu, mit Ach und Krach wurde der letzte Europa-League-Platz erreicht. Die Verpflichtung von Gasperini als Trainer zu Saisonbeginn war ein großes Missverständnis, der dröge Ranieri konnte der Mannschaft auch kein neues Leben einhauchen. Erst als der Jugendtrainer Stramaccioni, der erst zu Saisonbeginn vom AS Rom losgeeist worden war, das Heft in die Hand nahm, kehrten die nerazzurri auf die Erfolgsspur zurück.

Ganz aus den Europapokalplätzen rutschte dagegen der AS Rom. Nach einem holprigen Saisonstart schien es, als habe Luis Enrique zum Ende der Hinrunde sein Team gefunden. Doch die etlichen Abwehrfehler, der sterile Ballbesitz und die Unbeherrschtheit einiger Akteure zeigten all die Unerfahrenheit des spanischen Trainer auf, für den der Sprung von Barcelonas B-Mannschaft in die Serie A doch zu groß war. Die Euphorie rund um den jungen Coach und seinen Traum vom Offensivfußball war verpufft, nun stehen wieder weitreichende Veränderungen an. Auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft wurde auf die Vergangenheit zurückgegriffen. Zdenek Zeman, Prophet des attraktiven Fußballs und Spezialist für junge Talente, war bereits von 1997 bis 1999 Trainer in der Kapitale und maßgeblich für Tottis Entwicklung. Nach einer meist erfolglosen Odyssee bei kleineren Vereinen in Italien und im Ausland führte er diese Saison Pescara nach 19 Jahren Abstinenz in die Serie A zurück.

Dieser Sommer steht für den gesamten italienischen Fußball ein großer Umbruch an. Es war die letzte Serie-A-Saison für die Weltmeister Del Piero, Nesta, Gattuso und Inzaghi. Sie werden ihre Karrieren wahrscheinlich in anderen Ligen ausklingen lassen. Seit Jahren setzen die Teams verstärkt auf günstige Spieler aus anderen Ländern, doch Juves Erfolg mit einer fast ausschließlich aus italienischen Spielern bestehenden Mannschaft könnte für ein Umdenken sorgen, einige vielversprechende Talente wie Mattia Destro, Fabio Borini oder Sebastian Giovinco beweisen, dass die Serie A auch gute Eigengewächse hervorbringt. Deutschland wurde schon immer von den Italienern in vielen Bereichen oft bewundert, vielleicht sollte der Fußballboom als Vorbild genommen werden, um etwas Struktur in den calcio zu bringen. Bevor alles auseinander bricht.

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