24.06.2010

Özil, Gefühle und The Van Pelt

Oft reichen einfach nur kurze Momentaufnahmen. Mit ihrem Pathos, ihrer Ausdruckskraft, ihrer Symbolik. Sie bringen es genau auf den Punkt, es bedarf keiner langen Abhandlungen, keiner präzisen Analyse, um darzulegen, was geschieht. In Italien kennen sie alle Tardellis befreienden Jubellauf nach seinem Treffer gegen Deutschland im WM-Finale 1982. Als Maradona vier Jahre später fast sechs englische Spieler narrte, blieb die Zeit im Estadio Azteca stehen.

Als Mesüt Özil am heutigen Abend seine "linke Klebe" gegen Ghana auspackte, sorgte er bei Millionen Fußballfans für Erleichterung. Der geniale Spielmacher von Werder Bremen hatte bereits in der ersten Halbzeit eine Riesenchance im Alleingang, doch war sein Versuch, den Schuss platziert im Tor unterzubringen, an Kingson gescheitert. "Scheiß auf Gefühl" lautete da die Devise des türkischstämmigen Gelsenkircheners. Manchmal muss man eben das Gefühl außer Acht lassen, um sein Glück zu erzwingen.

Verblüffend sind die Parallelen mit dem Turnierverlauf für Deutschland bei der EM 2008. Auch damals musste Ballack mit einem Gewaltschuss die Erlösung herbeiführen. Erfreulich, dass die ebenbürtigen Ghanaer ins Achtelfinale vorrücken.

Die deutschen Spieler, aber auch die Fans auf den Tribünen in Johannesburg sowie vor den Fernsehern und Leinwänden weltweit mussten leiden. "It's a suffering". The Van Pelt wusste das schon. Jeder echte Fußballfan weiß dies ebenso gut. Man möge mir verziehen, wenn ich mit dem schwammigen Wort "echt" zu differenzieren versuche. Zwischen denen, die nur sporadisch mitfiebern, und denen, die Fußball leben, ihn atmen, daran zerbrechen und durch ihn wieder auferstehen können.

Ich gehöre zu der zweiten Sorte. Ich habe Rom gegen Manchester 7-1 verlieren sehen und lief wie betrunken durch die Straße. Ohne einen Tropfen Alkohol in meiner Blutbahn. Nur unendlich Leid. Ich habe die italienische Nationalmannschaft vier WM-Turniere hintereinander auf bittere Weise, meist im Elfmeterschießen, verlieren sehen. Ich musste zweimal, im EM-Finale 2000 und im WM-Achtelfinale 2002, etwas Unerhörtes erleiden. Augenblicke, Momente. Für mich handelte es sich um sudden death, für Frankreich und Südkorea waren es Golden Goals.

In all diesen Jahren musste ich leider auch oft genug in Deutschland erleben, zu was sich sportliche Rivalität steigern kann. Es ist nicht schön, wie Medien mehr oder minder fremdenfeindliche Hetze betreiben und sich leider auch viele hetzen lassen. Es ist nicht schön, Menschen im Eiscafé der Eltern zu sehen, mit der Aussage, dass sie kein Eis mehr kaufen werden. Von den Drohungen und Beleidigungen ganz abgesehen.

1990, als Deutschland in Italien Weltmeister wurde, hatte ich mich gefreut, weil die argentinischen Finalgegner meine Lieblingsmannschaft, die meine ersten Fußballidole Roberto Baggio und Giuseppe Giannini aufstellte, um das Finale gebracht hatte. Ich musste direkt ins Bett, mein Vater war nicht so glücklich, Jahre später lernte ich auch, warum. Es ist ein zwiespältiges Verhältnis zu einem Land, in dem man viele Menschen ins Herz schließt, aber leider immer wieder auf welche, die einem das Gefühl geben, nur geduldet zu werden.

Ich bin heute Abend spontan doch noch vor die Tür, habe mit ein paar Freunden auf dem Saarbrücker Landwehrplatz das Spiel Deutschland-Ghana verfolgt und konnte mich für meine Freunde über das Ergebnis freuen. Wie man sich eben für Freunde freut. Es waren auch andere gute Menschen dort, Deutsche und Ghanaer. Für die Guten konnte ich mich freuen. Mein Kompass funktioniert noch.

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