24.06.2010

Kunstloses Brot - Italien und die Negation des Fußballs

In Zeitlupe segelte der Ball über Marchetti hinweg und landete im Tor. Es war das letzte Bild, dass ich vom italienischen Debakel in Südafrika sah. Nach dem 3-1 der Slowaken schaltete ich den Büromonitor aus, stempelte mich aus und verließ mit meinem Kollegen das Gebäude, um endlich meine Feierabendzigarette anzuzuzünden.

Keine Trauer lag in meinem Herzen, nur eine gewisse Leere, aber vor allem auch ein erlösendes Gefühl. Endlich hatte der Spuk für mich ein Ende. Ich erklärte meinem Freund noch, dass die squadra azzurra von Beginn an überhaupt nicht Fußball gespielt hatte und dass den Slowaken eine ordentliche Leistung genügt hatte, um die völlig konzeptlose italienische Mannschaft zu schlagen.

Logik war schon immer mein Feind, ich bin ein Sohn des Chaos, des Wahnsinns, und hoffentlich auch des Genies. Endlich hatte ich die Logik durchschaut, Italiens sang- und klangloses Ausscheiden bei der WM 2010 war die Konsequenz aus einer von Spiel zu Spiel schwächer werdenden Gesamtleistung, der Hilflosigkeit des Trainers, der in jedem Spiel ein anderes taktisches Konzept gewählt hatte und dieses zur Halbzeit wieder über Bord werfen musste. Wie ein angeschlagener Pirlo, der keine gute Saison gespielt hatte, für eine Verbesserung des Ganzen sorgen sollte, bleibt mir schleierhaft.

Es sorgte für einige Verwunderung, als ich erfahren durfte, dass sogar der Anschlusstreffer zum 2-3 gelungen war und im Anschluss sogar der Ausgleich mit der damit verbundenen Qualifikation möglich war. Doch dieses Mal hatte die Logik endlich Recht behalten. Ich bin im Hier und Jetzt gelandet und bin endlich frei. Frei von der Qual, für eine Mannschaft ohne Qualität leiden zu müssen. Frei von der Wut über einen Trainer, der alles falsch gemacht hat. Angefangen bei der Wahl des WM-Kaders über die taktischen und personellen Entscheidungen während des Turniers bis hin zu seiner Pressekonferenz nach dem Spiel.

"Ich nehme alle Schuld auf mich", sagte der sichtlich enttäuschte Lippi. "Die Spieler waren verängstigt und terrorisiert, ich kann mich nur bei den Fans entschuldigen." Ich kann diesem Mann keine Größe in seiner dunkelsten Stunde anrechnen, wenn von vornherein entscheidende Fehler begangen und diese mit arroganten und fadenscheinigen Argumenten ("In Italien sind keine Ausnahmespieler gelassen worden") noch in Schutz genommen worden sind. Was will man von einem Trainer erwarten, dessen Abschied bereits vor der WM beschlossene Sache war, dessen Nachfolger bereitsteht? Ein wahres Kunststück hat Lippi dennoch vollbracht. Seine Mannschaft bot eine noch schlechtere Darbietung als Donadonis Truppe bei der EM 2008.

Als mein Lieblingsspieler De Rossi mit einem eklatanten Fehlpass den Untergang einleitete, war die Sache für mich die WM aus italienischer Sicht abgeschlossen. War gegen Paraguay zumindest ein bemühtes und zugleich mühseliges Spiel nach vorne zu sehen, wurde dies gegen Neuseeland mit sinnlosen Flanken und Bällen in die Spitze karikiert. Der vollkommen passive Auftritt bis zum 0-2 war vollkommene Resignation. Die Zeitungen reden zurecht von einer Schande, es war ein peinlicher Auftritt, doch ich habe keinen Grund zu trauen. Ich bin endlich frei.

Die furiosen Schlussminuten waren kunstloses Brot. Ein mehliger Pizzateig, dem der so wichtige Belag fehlte. Ranziger Käse in Form überalterter Weltmeister, unreife Tomaten, dargestellt von jungen Spielern, denen die internationale Klasse fehlt, sind keine Zutaten, um in der leichtesten WM-Gruppe bestehen zu können. Vom ersten Moment an hat Italien den Fußball negiert und nur in wenigen Momenten ansatzweise etwas mit dem Sport zu tun.

Nach der desolaten WM soll nun Claudio Cesare Prandelli aus dem italienischen Scherbenhaufen ein Team internationalen Formats schaffen. In seinen Jahren in Florenz konnte er beweisen, dass er weiß, wie man junge Spieler aufbaut, doch wirklich überzeugen konnte er nicht, auch weil er noch nie mit einem großen Verein um Titel mitspielen konnte. 2004 hatte er zwar beim AS Rom den Trainerposten übernommen, doch nach dem tragische Tod seiner krebskranken Frau entschloss er sich nach wenigen Wochen, sich für ein Jahr vom Fußball zurückzuziehen. Prandelli bewies damals bereits seine menschliche Größe. Und das zählt zu den wichtigen Dingen des Lebens. Nicht der Fußball, der nur eine Allegorie des Lebens darstellen kann.

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